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Die strukturelle Subdimension sozialer Praxis
Soziale Praxis entspricht weitgehend dem soziologischen Verständnis von sozialen Systemen, Rollen, Prozessen usf.. Von sozialer Praxis bzw. sozialen Interaktionssystemen sprechen wir, wenn alle Subjekte gleichermaßen als soziale Rollen, Funktionsträger, Organisationen, gesellschaftliche Subsysteme usf. verstanden werden. Alle soziale Praxis findet in sozialen Systemen: Teams, Gruppen, Institutionen, Organisationen, Gesellschaften und deren Subsystemen statt und erzeugt diese- wenn sie denn erfolgreich verläuft. Dies ist die homogenisierenden Sichtweise der Soziologie. Menschen werden zu sozialen Idealtypen und ihre Praxis verläuft nach sozialen Normen.
Immer noch am besten von A. Schütz als Puppe, als personaler Idealtypus beschrieben:"Die Puppe wurde nicht geboren, sie wächst nicht heran und sie wird nicht sterben. Sie kennt weder Furcht noch Hoffnung.... [Der personale Idealtypus], kann nicht außerhalb der typischen Motive, der typischen Zweck - Mittel - Relation und außerhalb der typischen Situation [Systeme] handeln, die ihm der Sozialwissenschaftler bereitet hat ... Der personale Idealtypus ist durch die Gnade seines Konstrukteurs gerade mit soviel Wissen versehen, wie er braucht, um den Zweck zu erfüllen, um dessentwillen er in die wissenschaftliche Welt gesetzt wurde.“ (Schütz 1972, S. 43)
Zu ergänzen ist eine Eigenart, die in der wissenschaftstheoretischen Diskussion zu wenig beachtet wird, die aber geeignet ist, den Unterschied zwischen Sozialwissenschaften und Kulturwissenschaften präziser zu fassen: Die Elemente sozialer Praxis (und damit auch die sozialer Praxissysteme) sind homogen, eben durchgängig soziale Typen, diejenigen von kulturellen Systemen jedoch immer heterogen im Sinne von artverschieden. Wenn soziale Faktoren oder der Mensch als Gattungswesen in den kulturellen Systemen auftauchen, dann muß mindestens ein anderer Faktoren nicht-sozial und nicht-menschliche sein.
Es hat geschichtlich lange gebraucht, bis sich die Idee der Gleichheit von sozialen Subjekten - und damit der Möglichkeit von Sozialsystemen und hernach auch einer Soziologie - herausgebildet hat. Alle modernen Gesellschaften/Demokratien basieren – spätestens seit der Französischen Revolution und der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten – auf der Grundannahme, daß die sozialen Subjekte gleich sind. Völlig klar, daß dies eine Idealisierung ist, die sich in jedem konkreten Fall als postfaktisch, mindestens als höchst unwahrscheinlich erweist. Aber man hält an dieser Unterstellung trotz aller faktischen Unterschiede fest - und kommt so zu dem gleichen Wahlrecht, zu einem Rechtssystem, welches die Gleichheit – und damit auch die prinzipiell gleiche Schuldfähigkeit – der Subjekte unterstellt. Unterschiede setzen erst eine Stufe niedriger an, indem die sozialen Subjekte nach Rollen, Funktionen und anderen Dimensionen differenziert werden.
Wenn die Subjekte sich nicht mehr als soziale Rollen verstehen oder/und so von anderen behandelt werden, wechselt die Perspektive vom sozialen zu den individuellen menschlichen Praxissystemen. Das kommt oft vor, und ebenso der umgekehrte Weg – was nochmals darauf hinweist, daß es sich 'nur' um unterschiedliche Dimensionen des gleichen Phänomens handelt. Der Übergang von den menschlichen Subjekten in den individuellen Interaktionssystemen in die Rollen in sozialen Interaktionssystemen wird als Entfremdung, als Verlust der Eigenart erlebt und ist so im 19. Jahrhundert beschrieben worden. Die je individuelle Subjektivität ist demgegenüber für die Subjekte der individuellen Praxis konstitutiv.
Die Relationen zwischen den sozialen Idealtypen lassen sich durch Funktionen beschreiben und die Funktionserfüllung definiert die Prozesse in der dynamischen Dimension, mindestens die linearen.
Ein Fußballspiel hat die Funktion zu klären, welche der beiden Parteien in 90 Minuten mehr Tore schießt.
In Institutionen werden die Funktionen dadurch stabilisiert, daß die Subjekte als Funktionsträger ausgezeichnet werden. Eine Rolle ohne Funktionszuschreibung wird ausgeschlossen.
Schaffner haben die Funktionen, Fahrkarten der Mitfahrenden zu kontrollieren, Lehrer lehren usf.
Meist können die sozialen Subjekte, unter Umständen milisekundenschnell, zwischen verschiedenen Funktionen bzw. Rollen wechseln.
Der Filialleiter eines Marktes hat zwar das Management als Hauptfunktion, kann aber durchaus als Verkäufer oder Kassierer im operativen Geschäft auftauchen - nur nicht zu oft.
Man weiß, daß es Konflikte zwischen den Funktionen und Rollenkonfusionen geben kann, die die Praxis beeinträchtigen und als System gefährden können. Das führt zur Aufmerksamkeit auf System-Umwelt-Beziehungen.